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Saturday, August 18, 2012

Gender trouble im Anarchismus und Anarchafeminismus? (2001)




Jürgen Mümken

Im Jahr 2000 ist im Unrast-Verlag das Buch AnarchaFeminismus. Auf den Spuren einer Utopie erschienen. Das Buch gliedert sich in drei Teile, im ersten wird das Geschlechterverhältnis und die Frauenrollen in der klassischen anarchistischen Theorie dargestellt, im zweiten die Geschichte und die Positionen von Anarchistinnen und im dritten Teil der Anarchafeminismus. Das Buch behandelt anarchafeministische Ansätze der 70er und 80er Jahre, die feministischen Diskurse um den Poststrukturalismus und die Dekonstruktion von Geschlecht (sex/gender) in den 90 Jahren werden bis auf einige Randerwähnungen ausgeblendet. Die Debatte um die Natürlichkeit der Geschlechtskörper und der Zweigeschlechtigkeit der Gesellschaft fanden anscheinend innerhalb des Anarchafeminismus nicht statt oder wurden kaum oder gar nicht in anarchistischen Publikationen veröffentlicht. Der folgende Beitrag versteht sich somit als Ergänzung zu dem Buch von Lohschelder.
Zunächst möchte ich einige Aspekte der Debatte um die Historizität der Geschlechtskörpers und die soziale Konstruktion von Geschlecht nachzeichnen, um darauf die von Silke Lohschelder behandelten anarchafeministische Ansätze auf ihr Verständnis von Geschlecht im Sinne der sex/gender-Debatte zu betrachten.

sex und gender

Innerhalb der feministischen Theorie wird spätestens seit den 70er Jahren zwischen dem biologischen Geschlecht (sex) und dem sozialen/kulturellen Geschlecht (gender) unterschieden. Diese begriffliche Unterscheidung innerhalb des Feminismus soll darauf verweisen, daß zwischen den biologischen Gegebenheiten für Männer und Frauen und den geschlechtsspezifischen Rollenerwartungen an Männer und Frauen kein kausaler Zusammenhang besteht. Die sozialen Ungleichheiten der Geschlechter können demzufolge nicht mit einer biologischen Geschlechterdifferenz begründet werden. Die Geschlechterrollen und -identitäten sind vielmehr das Ergebnis eines historischen Prozesses und damit keineswegs Ausdruck einer biologischen und damit natürlichen Geschlechterdifferenz.

Gleichheit oder Differenz

Die Diskurse innerhalb der neuen Frauenbewegung wurden um die zwei Schlagwörter „Gleichheit“ und „Differenz“ geführt. Die Gleichheitstheoretikerinnen verstehen die Unterdrückung von Frauen „als Einschränkung und Beeinträchtigung ihrer Möglichkeiten durch eine Gesellschaft, die nur die Selbstverwirklichung von Männer erlaubt“ (Young 1989, 38). Iris Marion Young bezeichnet diesen „Gleichheitsfeminismus“ als „humanistischen Feminismus“, der aus einer Revolte gegen Weiblichkeit besteht, denn die „patriarchale Kultur hat Frauen eine andere weibliche Kultur zugeschrieben“ (Young 1989, 38). Ursache für die Unterdrückung von Frauen sind „nicht die biologischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen, sondern die damit verbundenen Zuschreibungen durch eine patriarchale Gesellschaft“ (Lohschelder 2000, 149). Die Gleichheitstheoretikerinnen erkennen die binäre Ordnung an, die Menschen biologisch in Frauen und Männern teilt, doch dürfen daraus nicht unterschiedliche Rollenerwartungen an Frauen und Männern resultieren. Die unterschiedlichen sozialen Rollen und die Hierarchie der Geschlechter sind Ausdruck patriarchaler Unterdrückung. Auch wenn Frauen und Männer als biologisches Geschlecht (sex) different sind, wird für das soziale Geschlecht (gender) Gleichheit gefordert.

Die Theorie der Differenz basiert dagegen auf einem dualistischen Geschlechterbild. Die Geschlechterdifferenz wird aus einer differenten biologische Körperlichkeit hergeleitet. Männer und Frauen seien demnach unterschiedlich, nicht nur im biologischen Sinne, sie bilden auch differente Geschlechteridentitäten aus. Die Differenztheoretikerinnen vertreten ein spezifisches Frau-sein, daß dazu führt, das patriarchale Zuschreibungen umgedeutet werden, typische weibliche Verhaltensweisen und Arbeiten sollen aufgewertet werden. Sie werfen den Gleichheitsverfechterinnen vor, daß sie die Weiblichkeit aufgeben würden „und das originäre Frausein insofern zum Verschwinden bringen, als sie sich an Normen, Lebens- und Politikentwürfen, die idealtypisch auf Männer zu geschnitten sein, ausrichten und anpassen würden“ (Rosenberger 1996, 71). Für die Differenztheoretikerinnen kann „das patriarchale System nur durch einen massenhaften Entzug der Frauen, durch das Entwickeln einer weiblichen Gegenkultur, zum Einsturz gebracht werden“ (Lohschelder 2000, 151). Die Differenz der Geschlechter wird als irreduzible und genealogisch unhintergehbare Differenz betrachtet. Trotzdem wird die Geschlechterdifferenz hier nicht naturalisiert und Geschlecht zum anatomischen Schicksal erklärt. Die Trennung in sex und gender innerhalb der Gleichheits- und Differenztheorie bleibt der traditionellen Dichotomie zwischen Natur und Kultur verhaftet. Auf diese Problematik weist Donna Haraway hin: „Feministinnen haben schon früh die binäre Logik des Natur/Kultur-Dualismus kritisiert, aber sie dehnten ihre Kritik nicht auf die davon abgeleitete Unterscheidung zwischen 'sex‘ und 'gender‘ aus, weil diese immer noch zur Bekämpfung des vorherrschenden biologischen Determinismus in den hartnäckigen politischen Auseinandersetzungen um 'Geschlechtsunterschiede‘ in den Schulen, Verlagen, Krankenhäusern usw. tauglich war“ (zitiert nach: Maihofer 1995, 20).

Die Trennung in sex und gender übernimmt damit die Behauptung einer natürlichen binären sexuellen Differenz. In diesem Diskurs bleibt der geschlechtliche Körper (sex) weiterhin der Geschichte entzogen. Gender wird in diesem Diskurs als eine „nachträgliche“ Über-/Verformung, kulturelle Interpretation von sex betrachtet, damit wird aber der vorherrschende Binarismus Natur/Kultur reproduziert. Es wird von der Existenz eines natürlichen, ursprünglichen Geschlechtskörper in gesellschaftlich-voraussetzungsloser Form ausgegangen, dadurch wird die naturalisierende, biologistische Konzeption von der Kategorie „Geschlecht“ nicht aufgehoben, sondern lediglich in sex verlagert.

Die Historizität des Geschlechtskörpers

Der aktuelle Geschlechtskörper und die binäre Ordnung der Geschlechter ist das Ergebnis historischer Prozesse. In ihren historischen Forschungen haben Claudia Honegger, Thomas Laqueur und Barbara Duden aufgezeigt, wie sich im Laufe des 18. Jahrhundert im Zuge der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsformation eine Verschiebung im Verständnis des Geschlechts und des Geschlechtskörpers statt gefunden hat.
Im Zentrum der Forschungen von Honegger steht die Entwicklung der Wissenschaften von Menschen und insbesondere die Etablierung einer weiblichen Sonderanthropologie. Die Anatomie wird zu einer Grundlagenwissenschaft innerhalb der Wissenschaften von Menschen. Für das Verständnis von „Geschlecht“ und „Geschlechtskörper“ hat dieser wissenschaftlicher Diskurs weitreichende Konsequenzen. Die sich entwickelnde vergleichende Anatomie des Körpers geht davon aus, daß die Differenz zwischen „weiblichen“ und „männlichen“ Körper nicht nur in den Geschlechtsorganen besteht, sondern das der weibliche Körper in jedem seiner Elemente vom männlichen abweicht. Die beiden Geschlechter sind in diesem Diskurs nicht nur biologisch-anatomisch grundsätzlich voneinander verschieden, sondern auch in „der Art und Weise, wie Männer und Frauen denken fühlen, urteilen“ (Maihofer 1995, 25). Die vorherrschenden sozialen Rollen und die Geschlechterdifferenz werden durch die Entwicklung einer weiblichen Sonderanthropologie naturalisiert und in die Geschlechtskörper eingeschrieben. Nach Pierre Roussel ist Frau demnach „ein Wesen für sich, mit einer eigenen Körperlichkeit, eigenen Krankheiten, eigenen Sitten, eigener Moral und eigenen kognitiven Fähigkeiten“ (zitiert nach: Maihofer 1995, 26). Die anthropologische Wesensbestimmung der Frau führt zur Konstituierung des bürgerlichen Mannes.

Laqueur geht es in seiner historischen Studien um die Inszenierung der Geschlechter seit der Antike, um die historischen Veränderungen der Wahrnehmung zu rekonstruieren, die zur Transformation des Ein-Geschlecht-Modell zum Zwei-Geschlecht-Modell führten. Das Ein-Geschlecht-Modell existiert laut Laqueur im abendländischen Kulturraum seit der Antike und wurde mit der Etablierung der bürgerlichen Gesellschaft in ein Zwei-Geschlecht-Modell transformiert. In der Welt des Ein-Geschlecht-Modells „stellt man sich die Vagina als inneren Penis, die Schamlippen als Vorhaut, den Uterus als Hodensack und die Eierstöcke als Hoden vor“ (Laqueur 1996, 17). Die Geschlechtsteile wurden als gleichförmig angesehen; Frauen und Männer haben in diesem Welt- und Menschenbild die gleichen Genitalien, nur einmal nach innen, das andere Mal nach außen gestülpt. Die Körperflüssigkeiten wie Blut, Samen und Milch waren hier keine völlig verschiedene und getrennte Dinge, aus Blut konnte sowohl Samen als auch Milch werden. Im Ein-Geschlecht-Modell gab es nur „einen Körper, und der war männlich“ (Maihofer 1995, 29). Trotz der Vorstellung eines Körpers waren die Rollenerwartungen an Männer und Frauen verschieden.

Wie Honegger verortet auch Laqueur den Wandel des Verständnisses des „Geschlechtskörpers“ im 18. Jahrhundert. Im Gegensatz zu Honegger sieht er die neuen Sichtweisen des Körpers weniger in die Konsequenz eines Zuwachses an wissenschaftlichen Erkenntnissen, der biologische Unterschied der Geschlechter wird durch die neue Wissenschaften nicht erforscht, sondern erst erschaffen. Die neuen Erkenntnisse über den biologischen „Geschlechtskörper“ beinhalten keine Aussagen über den Geschlechterunterschied, denn das „Wesen des Geschlechtsunterschieds ist empirisch nicht überprüfbar“ (Laqueur 1996, 176). In der Sprache der Wissenschaft über die sexuelle Differenz der Geschlechtskörper ist bereits die Sprache des sozialen Geschlechts eingelagert. Alle Aussagen über das biologische Geschlecht sind von Anfang an mit der Kulturarbeit belastet. Anders gesagt: „Zwei inkommensurable Geschlechter waren und sind im selben Maß Hervorbringung der Kultur, wie es das Ein-Geschlecht-Modell war und ist“ (Laqueur 1996, 177).

Der neue wissenschaftliche Diskurs über das biologische Geschlecht ersetzte das soziale als eine erstrangige grundlegende Kategorie. Oder „anders gesagt: man erfand zwei biologische Geschlechter, um den sozialen eine neue Grundlage zu geben“ (Laqueur 1996, 173). Das Verhältnis von Frauen und Männer ist innerhalb des biologischen Diskurses keine Frage der Gleichheit oder Ungleichheit, sondern der Unterschiedlichkeit.
In den Arbeiten von Barbara Duden geht um die Historisierung von Körpererfahrungen. Sie richtet sich damit gegen die immer noch „selbstverständliche Trennung zwischen natürlichem Körper einerseits und Kultur, Gesellschaft anderseits“ (Maihofer 1995, 34). Wie Honegger und Laqueur wendet sich sie gegen Annahme „Körper sei etwas Geschichtsloses, immer Gleiches, eben natürlich Gegebenes“ (Maihofer 1995, 34). Duden unternimmt anhand von Krankenberichten und Protokollen des Eisenacher Arztes Johann Storch eine Rekonstruktion der Wahrnehmung des Frauenkörpers um 1730. Bei diesem Studium stellt sie wie Laqueur fest, das Frausein bis zum frühen 18. Jahrhundert keinen körperlichen Ort hatte, an dem es eindeutig festzumachen wäre.

Aus den Krankengeschichten läßt sich erkennen, daß die Differenz der Geschlechter als gradueller und keinesfalls als fundamentaler begriffen wurden. Es gab keinen „allgemeinen Körper der Frau als Norm“ (Duden 1991, 140). Innerhalb dieser Auffassung des Körpers wurde selbst die Menstruation nicht als Kennzeichen eines weiblichen Geschlechts angesehen. Menses konnten die Männer ebenfalls haben. Sie „entlassen ... teils beinahe regelmäßig, teils gelegentlich Blutflüsse aus verschiedenen Orten; aus der Nase, aus der goldenen Ader, aus einer Wunde, als blutiges Spucken“ (Duden 1991, 136).

Bis ins frühe 18. Jahrhundert war das innere der Körper unsichtbar, das Körperverständnis und seine Funktionen wurde über das, was nach außen dringt und an der Oberfläche erscheint, enträtselt. So war selbst die Schwangerschaft nicht wie heute eindeutig feststellbar. Beim Ausbleiben der Menstruation konnte es sich sowohl um eine verstockte Menses bzw. irgendeine Krankheit wie um eine Schwangerschaft handeln. Die Schwangerschaft war somit für Frauen noch nicht die Körpererfahrung, wie sie für heutige Frauen geworden ist.

Mit dem Entstehen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft wandelt sich auch für Duden das Körperverständnis, dies geschieht innerhalb eines komplexen gesellschaftlichen Prozesses, in dem sich ökonomische, politische und wissenschaftliche Entwicklungen verschränken. In diesem Prozeß kommt der Medizin für Duden ein bedeutende Rolle zu: „Ohne 'der’ Medizin die Verantwortung für 'die’ Gesundheit zuzuschreiben, konnte es nicht zum modernen westlichen Körper kommen“ (Duden 1991, 207f).

Duden zufolge bildet sich „allmählich die Frau als der anatomisch andere Körper heraus: die inverse Entsprechung von Mann und Frau weicht sehr langsam einem Begriff der physiologischen Differenz, in der die Frau physiologisch zur Mutterschaft bestimmtes Wesen“ (Duden 1991, 56) gesehen wird. Durch diesen Prozeß bekommt das Geschlecht der Frau ein bestimmten körperlichen Ort. Die körperliche Differenz hat ihre Grundlage in der „natürlichen“ Bestimmung der Frau zur Mutterschaft, die zur allgemeinen Wesensbestimmung sowie zur gesellschaftlichen Rolle der Frau wird. Im der modernen Körperauffassung wird der „Geschlechtskörper und seine anatomisch-physiologische Beschaffenheit (...) als etwas ein für allemal Gegebenes angesehen, das für sich genommen keinerlei Veränderung erfährt“ (Maihofer 1995, 38).

Die Studien von Honegger, Laqueur und Duden haben aufgezeigt, daß bis zum frühen 18. Jahrhundert „Individuen weiblichen oder männlichen Geschlechts waren, weil sie sozial Frauen und Männer waren, sind sie es heute, weil sie biologisch weiblichen und männlichen Geschlechts sind“ (Maihofer 1995, 38). Diese „Entdeckung“ des biologischen Geschlechtergegensatzes im Körper schien notwendig zu sein um die patriarchale Ordnung angesichts der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte aufrechtzuerhalten.

Diese Forschungen haben aufgezeigt, daß die Kategorie „Geschlecht“ grundsätzlich in Frage gestellt werden muß. Sowohl gender als auch sex müssen als gesellschaftliches Produkt bzw. als soziale Konstruktion begriffen werden. Wenn der natürliche Geschlechtskörper eine Fiktion ist, dann ist sex letztendlich gender. Die Idee eine natürlichen biologischen Geschlechtskörper (sex) muß also zurückgewiesen werden.

Die soziale Konstruktion des Geschlechts

In den Arbeiten von Judith Butler wird Geschlecht als diskursiver Effekt und soziale Konstruktion verstanden. Sie problematisiert in ihren Arbeiten die moderne substantialistische Konzeption des „Subjekts“, der „Identität“ und des „Körpers“. Sie stellt sich die Frage: „Wenn 'Identität’ ein Effekt diskursiver Praktiken ist, inwiefern ist dann die geschlechtlich bestimmte Identität (gender identity) – als Verhältnis zwischen biologischen Geschlecht (sex), Geschlechtsidentität (gender), sexueller Praxis und Begehren verstanden – der Effekt einer regulierenden Praxis, die als Zwangsheterosexualität identifiziert werden kann?“ (Butler 1991a, 39)

Das Ziel von Butler ist es, die erzwungene heterosexuelle Begehrensorientierung und die damit verbundene Geschlechterkonstruktion zu dekonstruieren und stellt die natürliche Zweigeschlechtlichkeit in Frage. Butler geht es in ihren Arbeiten um eine feministische Fundamentalkritik an der Unterscheidung zwischen sex und gender. Dies führt bei Butler zu einer Dekonstruktion des Subjekts Frauen und einer Theorie der diskursiven Materialisierung von Körpern. Dabei bezieht sie sich einerseits auf die Arbeiten von Lacan und Foucault und andererseits auf die feministischen Theoretikerinnen Simone de Beauvoir, Julia Kristeva und Monique Wittig. Judith Butler gehört – wie auch Andrea Maihofer – zu den Differenztheoretikerinnen, „die keine positive Bestimmung des weiblichen versuchen, sondern die binären Raster der Zweigeschlechtlichkeit auszuhebeln und das gleichmachende begriffliche Denken in Dualismen überwinden wollen“ (Hauskeller 2000, 33). Weiterhin nimmt sie die radikale Kritik vor allem afro- und lateinamerikanischer Feministinnen an und macht die Hinterfragung eines kollektives feministisches „Wir“ zum Ausgangspunkt ihrer theoretischen Überlegungen: „Die feministische Kritik muß auch begreifen, wie die Kategorie 'Frau(en)’, das Subjekt des Femi-nismus, gerade durch jene Machtstrukturen hervorgebracht und eingeschränkt wird, mittels derer das Ziel der Emanzipation erreicht werden soll“ (Butler 1991a, 17). Für Butler kann die Kategorie „Frauen“ die Heterogenität, die Differenzen unter Frauen niemals repräsentieren.

Butler begreift den Körper als eine „kulturelle Situation“ und als „Ort kultureller Interpretati-onen ist der Körper eine materielle Realität“ (Butler 1991b, 64). Geschlecht ist für sie „ein bestimmte Art des Körpers anzunehmen, seinen Körper in einer bestimmten Weise zu leben oder zu tragen“ (Butler 1991b, 61). Dieser Prozeß findet in einem Raum mit bereits etablierten Körperstilen statt. Für Butler heißt ein Geschlecht wählen, „gegebene Geschlechtsnormen zu interpretieren und sie so zu reproduzieren und neu zu organisieren“ (Butler 1991b, 61). Die jeweiligen Geschlechtsnormen unterliegen aber eine historischen Bedingtheit und sind deshalb nicht ahistorisch und universell: „Der Körper wird zu einem spezifischen Nexus von Kultur und Wahl, und 'seinen Körper existieren’ wird zum individuellen Weg, die gegebenen Geschlechtsnormen aufzugreifen und zu reinterpretieren“ (Butler 1991b, 64). Das Aufgreifen und Reinterpretieren von gegebenen Geschlechtsidentitäten ist „kein fundierender Akt, sondern eher ein regulierender Wiederholungsprozeß“ (Butler 1991a, 213), der die Möglichkeit eröffnet die Wiederholung zu variieren, dadurch werden Spielräume eröffnet, Übertreibung und Zuspitzungen ermöglicht. Die Wiederholung schließt auch Neuinterpretationen mit ein, die auch völlig neuartige und individuelle Zusammensetzungen erlaubt: „Das Subjekt ist von den Regeln, durch die es erzeugt wird, nicht determiniert“ (Butler 1991a, 213).

Geschlecht wird bei Butler als ein komplexes Erzeugnis von regulierenden Diskursen und den damit verbundenen Macht- und Kräfteverhältnissen verstanden. Deshalb redet sie auch immer wieder im Bezug auf den Geschlechtskörper von einer „Erfindung“ bzw. „Fiktion“: „Gegen die sex-gender-Theoretikerinnen behauptet sie, daß Subjekt auch in ihrer körperlichen materiellen Geschlechtlichkeit durchgängig performativ produziert sind und daß es gilt, die Konstruktionsbedingungen und -faktoren dieser Produktion zu untersuchen“ (Hauskeller 2000, 59). Für Butler bestätigt die Unterscheidung von sex und gender die tradierte patriarchale Mann-Frau-Teilung und richtet sich damit gegen die feministische Zielsetzung: „Butler kritisiert, daß in dieser Vorstellung der Geschlechtskörper der kulturellen Einschreibung von sozialer Geschlechtlichkeit stets vorgängig bleibt. Als solcher wird der Körper als unabhängig und unberührt von den Gesetzen gesellschaftlicher Konstitution verstanden. Er wird als materiellontologische Basis begriffen, die im sozialen Geschlecht ihre mehr oder weniger angemessene Repräsentation findet“ (Lorey 1996, 21f). Aus feministischer Sicht ist deshalb sex als eine patriarchatserhaltende Denkfigur grundsätzlich abzulehnen. Jede „Rede von Natur dient vor allem dazu, jene Zwänge, Disziplinierungstechniken und Diskursstrategien unkenntlich zu machen, die die alternativlose Unterwerfung, unter das Zweigeschlechtermodell in jeder konkreten Subjektwerdung neu erzwingt“ (Hauskeller 2000, 59).

Butler geht in ihren Arbeiten davon aus, daß Geschlecht und Geschlechtskörper – also sex und gender – als diskursive Konstruktionen zu verstehen sind, die ausschließlich durch Sprache erzeugt werden.

Die aktuell vorherrschende hegemoniale Existenzweise der Menschen kann und muß sich ändern, wenn wir Patriarchat und Zwangsheterosexualität überwinden wollen. Die Dekonstruktion von sex schließt jegliches Begehren als homosexuell bzw. heterosexuell zu qualifizieren aus, da beide Kategorien sich immer auf eine biologische Geschlechtsbestimmung und binäre Ordnung der Geschlechter beziehen. Der kulturell konstruierte Körper soll befreit werden, „allerdings weder für seine 'natürliche’ Vergangenheit noch für seine ursprünglichen Lüste, sondern für eine offene Zukunft kultureller Möglichkeiten“ (Butler 1991a, 142).

Anarchafeminismus

Der Begriff des Anarchafeminismus hat sich in der Mitte der 70er Jahre innerhalb des us-amerikanischen feministischen Diskurs. Es waren radikale Feministinnen (1), wie Peggy Kornegger und Carol Ehrlicher, die bei ihrer Suche nach einem politischen Gerüst für eine angestrebte feministische Revolutionierung der Gesellschaft auf die Prinzipien des kommunistischen Anarchismus von Kropotkin stießen. Durch die im Libertad Verlag erschienen Übersetzung einiger us-amerikanischer Texte erreichte der anarchafeministische Diskurs die (west-)deutsche männerdominierte anarchistische Bewegung. In feministischen Kreisen wurde der anarchafeministische Ansatz zunächst ignoriert.

Für Kornegger und Ehrlich sind „Feministinnen natürliche Anarchisten“ (Kornegger/Ehrlich 1979, 11) und konstatieren, daß „die Verbindung des Anarchismus mit dem Feminismus eine vollkommene Vereinigung von Prinzipien und Idealen wäre“ (Kornegger/Ehrlich 1979, 9). Im Anarchismus finden sie, das für sie im Feminismus fehlende Revolutionskonzept: „Der Anarchismus gibt uns eine ökonomische Analyse, er schlägt uns ein Organisationsprinzip vor und einen möglichen Plan für die revolutionäre Aktion. (...) Der Anarchismus bestärkt das gefühlsmäßige Verständnis des Feminismus nach der Notwendigkeit einer Massenbewegung und der Revolution, die von den Massen getragen und geführt wird, anstelle einer elitären Gruppe von Berufsrevolutionären“ (Kornegger/Ehrlich 1979, 11).

Aber nicht nur der Feminismus profitiert in den Augen der us-amerikanischen Anarchafeministinnen vom Anarchismus, sondern auch umgekehrt der Anarchismus vom Feminismus: „Der Feminismus bietet den anarchistischen Männern Aufschluß über ihr maskulines Erbe, welches ihre Emotionen und Ausdrucksfähigkeiten verkrüppelt. Der Feminismus gibt dem Anarchismus den Sinn für das Kreisförmige, für Verbindungen, die das existierende anarchis-tische Bewußtsein abrunden und vervollkommnen und für die menschlichen Bedürfnisse nach Schönheit, Freude und Ausdruck“ (Kornegger/Ehrlich 1979, 12).

Hier findet ganz in Tradition der Differenztheoretikerinnen eine „Konzentration auf die posi-tiven Aspekte der weiblichen Kultur“ (Young 1989, 50) statt, oder wie in meinem aus der Bibliothek ausgeliehen Exemplar des Buches diese Stelle zu recht folgendermaßen von einer Leserin oder einem Leser kommentiert wurde: „Frauen sind mal wieder für die Atmosphäre zuständig“.

Anarchafeministinnen kämpfen nicht nur für die Befreiung der Frauen, sie wollen „alle unterdrückten Menschen miteinander (...) vereinigen“ (Kornegger/Ehrlich 1979, 11), um gegen alle Unterdrückungsmechanismen zu kämpfen. Ziel ist es jegliche Form von Herrschaft abzuschaffen und zu überwinden.

Sozialer Ökofeminismus

Ein weiterer Beitrag innerhalb des anarchafeministischen Diskurses kommt ebenfalls aus den USA. Der soziale Ökofeminismus, der auf das Konzept des libertären Kommunalismus und der Sozialen Ökologie von Murray Bookchin basiert, wurde von Janet Biehl entwickelt. Biehl geht es in ihrem sozialen ökofeministischen Ansatz um die Möglichkeit „Anarchismus und Feminismus, libertären Sozialismus und sozialer Ökologie zu verbinden“ (Biehl 1991, 9). Biehl bezieht sich auf den in den USA entstandenen Ökofeminismus, den sie sowohl kritisiert, als auch eben erweitert. Ihr Kritik ist, daß er „Frau und Natur von der linken Theorie abstrahiert hat und sich damit selbst eingeschränkt“ (Biehl 1991, 9) hat. Der Ökofeminismus geht von eine Beziehung zwischen Frau und „Natur“ aus und schreibt die Unterschiede zwischen Frauen und Männern in der Tradition des Differenzfeminismus fest. Die „Frau = Natur“-Methapher ist für sie ein Ausdruck patrizentrischer Kulturen, die die patriarchale Unterordnung der Frau fortschreibt. Biehl wirft dem amerikanischen Ökofeminismus vor, daß er an patriarchalen Rollenerwartungen festhält und diese nur feministisch umdeutet. Dieser Ansatz wurde stark vom „kulturellen Feminismus“ beeinflußt.

„Kulturelle Feministinnen, im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen, den radikalen Feministinnen, betrachten Frauen nicht nur als biologisch vom Mann verschieden, sondern ordnen Frauen und Männern auch unterschiedliche Wesensmerkmale, Werte, sogar kosmologische Bestimmungen zu. Die Begrifflichkeiten von 'männlicher‘ und 'weiblicher Natur‘ erinnern kurioserweise an die Vorstellung von 'Männlichkeit‘ und 'Weiblichkeit‘ in vielen patrizentrischen Kulturen, die radikale Feministinnen stets vehement bekämpft haben“ (Biehl 1991, 11).

Die ökofeministischen Autorinnen, die von diesem „kulturellen Feminismus“ beeinflußt wurden, schreiben den Frauen ebenfalls eine größer Nähe zur „Natur“ zu als den Männern. Eine ökologische Gesellschaft wird hier durch die Forcierung „weiblicher“ Werte in einer Frauen und Natur verachtenden Gesellschaft erreicht. Ökofeministinnen gehen z.B. von einer besonderen Befähigung und Verantwortung der Frauen zur Rettung des bedrohten Lebens auf der Erde vor der ökologischen Katastrophe aus. Dadurch wird den Frauen innerhalb dieses ökofeministischen Ansatzes „die moralische Aufgabenstellung, die Gesellschaft vor der Zerstörung zu 'retten‘, die ihr Männer in der Vergangenheit antaten“ (Biehl 1991, 12). Neben diesen Vorstellungen von „Frau“ und „Weiblichkeit“ wirft Biehl dem Ökofeminismus vor, nicht alle Formen von Unterdrückung und Ausbeutung zu sehen.

„Frauen und Natur sein nicht die einzigen Unterdrückten, und es komme einer Verharmlosung des Kapitalismus und des Etatismus gleich, zu behaupten, eine Rückführung der Gesellschaft in matriarchale Zeiten würde eine Überwindung jeglicher Hierarchie entsprechen. Eben dies wird Biehl aber den Ökofeministinnen vor“ (Lohschelder 2000, 163).

Trotz der Kritik bleibt für Biehl die Verbindung von Feminismus und Ökologie wichtig. Für ein revolutionären Ansatz müssen ökofeministische Inhalte mit einer Kritik des Kapitalismus und des Nationalstaates verbunden werden. Die Verbindung nennt Biehl „Sozialer Ökofeminismus“. Die Wurzeln eines linken ökologischen Feminismus sieht Biehl im radikalen Feminismus, da dieser „eine konkrete, materialistische, soziale feministische Analyse“ (Biehl 1991, 14) entwickelt hat. Er hatte versucht, „die sozialen Institutionen und Strukturen zu eruieren, welche über Ideologie oder gesellschaftliche Frauen daran hinderten, das ganze Potential ihrer Humanität zu entfalten“ (Biehl 1991, 14). Da der radikale Feminismus die patriarchale Herrschaft als die ursprüngliche Form der Unterdrückung sieht, kann er sich als universelle emanzipatorische Theorie präsentieren. Die Befreiung der Frauen von ihren Geschlechterrollen bedeutet somit auch die Befreiung der Männer vor ihren entsprechenden Rollen, „was exakt die Emanzipation der Männer bedeuten würden. (...) In diesem Sinne ist der Feminismus tatsächlich für Männer befreiend“ (Biehl 1991, 15).

Auch Biehl beschäftigt eine der zentralen Frage des Feminismus nach dem Wesen des Unterschiedes zwischen Mann und Frau. Sie kritisiert sowohl die Position, die aus biologischen Unterschieden eine „weibliche Natur“ ableiten, als auch die Position, die alle Unterschiede als sozial bedingt ansieht.

„Ein sozialer Ökofeminismus erkennt biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern an, besonders die offensichtlichen Unterschiede in der Reproduktionsfähigkeit: Frauen menstruieren, werden schwanger, gebären und stillen. Ebenso sind Frauen, im ganzen gesehen, nicht so groß und schwer wie die männlichen Angehörigen ihrer Gruppe. Viele Frauen sind physisch schwächer und fürsorglicher sowie hilfsbereiter als viele Männer. In welchen Ausmaß diese und andere Unterschiede jedoch erworben oder angeboren sind, ist unklar. Deshalb müssen wir in dieser Frage eine offene Position vertreten“ (Biehl 1991, 19).

Für Biehl gerieten die biologische Unterschiede zwischen Frauen und Männer unter der männlichen Dominanz zum Nachteil der Frauen. Durch die vorherrschenden Geschlechterrollen werden Frauen so behindert, „daß ihnen alle Möglichkeiten eröffnet werden müssen, all ihre Fähigkeiten zu entwickeln“ (Biehl 1991, 19) und werden daran gehindert, „ihre menschliche Natur voll auszuleben“ (Biehl 1991, 19). Dies geschieht durch die „Mystifizierung und Festschreibung biologischer Unterschiede zu einem 'männlichen‘ und einem 'weiblichen‘ Wesen“ (Biehl 1991, 19). Deshalb fordert der Soziale Ökofeminismus, „daß Frauen ihre intellektuellen, moralischen, sexuellen und sinnlichen Fähigkeiten ausleben können, deren Existenz ebenso eine biologische Tatsache ist“ (Biehl 1991, 19). Biehl konstatiert, „daß zwischen den Geschlechter biologische Unterschiede existieren, – egal welchen Ursprungs – muß das noch lange nicht zu Geschlechtshierarchien und Herrschaft führen“ (Biehl 1991, 20).

Ort der Differenz

Ein weiterer anarchafeministischen Ansatz, stammt von Rosella Di Leo aus Italien. Auch Di Leo bezieht sich – wie schon Kornegger, Ehrlich und Biehl – auf den radikalen Feminismus. Sie stellt die Notwendigkeit eines anarchistischen Standpunktes zu feministischen Fragen heraus. Di Leo bezieht ebenfalls sich auf die Soziale Ökologie von Murray Bookchin, „durch die die Verwandtschaft der Herrschaft vom Menschen über Menschen mit der von Menschen über die Natur aufgezeigt werde“ (Lohschelder 2000, 143). In ihrer Patriarchatskritik befaßt sie sich nicht nur mit der patriarchalen Rollenfestlegung, sondern macht sich auf die Suche nach ihren Ursprüngen (vgl. Di Leo 1987). Di Leo geht davon aus, da vor der Entstehung patriar-chaler Gesellschaften egalitäre bzw. matrizentrische Gesellschaften existiert haben. Die patriarchale Unterdrückung von Frauen ist für sie kein Ausdruck irgendeiner Natur, sondern das Produkt von kulturellen Prozessen und damit veränderbar. Obwohl Di Leo den Ursprung der „sexuellen Asymmetrie“ in der Kultur verortet, hält auch sich an der biologischen Differenz der Geschlechter fest: „Tatsächlich ist die biologische Tatsache an sich neutral, sie nimmt einen positiven, sie nimmt einen positiven oder negativen Wert nur im Rahmen eines kulturellen Wertesystems an. Das bedeutet nicht, daß die Bedeutung der biologischen Faktors geleugnet werden soll, er charakterisiert und unterscheidet die Geschlechter, aber er entscheidet nicht über ihr soziales Verhalten“ (Di Leo 1987, 25).

Sie gesteht jedoch ein, „daß wir den biologischen Unterschied lediglich durch seine Repräsentation (klar willkürlich) wahrnehmen können“ (Di Leo 1992, 49). Die biologische Geschlechterdifferenz sagt aber nichts über die Geschlechterrollen und ihrer Hierarchisierung aus: „Das biologische Geschlecht ('sex‘) tränkt das soziale/kulturelle Geschlecht ('gender‘) aber bestimmt es nicht“ (Di Leo 1992, 49). Für Di Leo sind die Kategorien „weiblich“ und „männlich“ kulturelle Konstruktionen, die jede Gesellschaft auf der Basis ihrer eigenen Interpretation der Welt entwickelt hat.

„Diese Konstruktionen werden prinzipiell um die Rollen herum geformt, die jede Gesellschaft den Geschlechtern zuweist und die Quelle jenes besonderen Verhaltens, Haltungen, Gefühlen und Sensibilitäten sind, die zu der Formung der Geschlechtsidentität beitragen. Die gesellschaftliche Arbeitsteilung ist daher für die Entwicklung des Geschlechts ('gender‘) fundamental, gerade wie sie es für die Gesellschaft überhaupt ist“ (Di Leo 1992, 49).

Wenn Di Leo die patriarchale Geschlechterhierarchie mit ihren kulturell hervorgebrachten Geschlechterrollen kritisiert und zurückweist, geht es ihr nicht darum die Geschlechtsunterschiede generell zu negieren.

„Geschlechtsunterschiede sind sowohl möglich wie wünschenswert, solange sie auf Kriterien basieren, die sich von der bipolaren Herrschaftslogik, die Rollenteilung in eine Rollenhierarchie transformiert, unterscheiden. Eher ist es nötig, sich in Richtung eines Kriteriums sozialer und symbolischer Gleichwertigkeit zu bewegen, die viel größere Unterscheidungen erlauben kann und dennoch spezifische Rollen beibehält, um die herum die Geschlechter ihre eigenen Identität konstruieren können“ (Di Leo 1992, 50).

Es geht ihr aber nicht nur um die Überwindung der angeblich „natürlichen“ weiblichen und männlichen Geschlechterrollen, sondern auch um eine Neubewertung von Differenz, die eine Neubewertung von „Abweichungen“ mit einschließt.

„Die Neubewertung des 'Abnormen‘ (normal in seiner statistischen Bedeutung 'maximaler Häufigkeit‘ und nicht im ethischen Sinne von 'richtig‘) und von Abweichung (nicht mehr betrachtet als Unordnung sondern legitimer Ausdruck sozialer Verschiedenheit) wird uns erlauben, Differenz als gegeben und als einen Wert darzustellen, nicht nur zwischen den Geschlechtern sondern auch innerhalb derselben, und jenen falschen Universalismus zurückzuweisen, den die Geschlechtsstereotypen postulieren“ (Di Leo 1992, 50).

Aufgrund dieser „natürlichen“ Differenz hat die Kultur die Aufgabe diese Vielförmigkeit so-wohl Wert als auch Bedeutung zu geben. Die Kultur muß „daher nicht nur die Differenz in ihr Universum einschließen, sondern kann und muß die Differenz erfinden“ (Di Leo 1992, 51). Für Di Leo ist dies der „Ort“, in dem die Unverkürztheit der Differenz liegt: „in der Sphäre der kulturellen Plastizität unserer Spezie, die fähig ist, Vielförmigkeit zu reproduzieren, die Sphäre kreativer Imagination, die fähig ist neue Formen zu erfinden“ (Di Leo 1992, 51). Es geht ihr darum, daß die Kategorien von weiblich und männlich auf der Basis eine nicht-hierarchischen Kultur formuliert werden.
Für die italienische Anarchistin und Feministin Maria Matteo sind wie bei Di Leo die festgelegten Geschlechterrollen der Ansatzpunkt ihrer Kritik. Die verschiedenen Rollen, die Menschen im Verlauf ihres Lebens erproben können, sind sehr begrenzt und zu dem in weiblich und männlich aufgeteilt.

„Genau hier biete sich der Raum für einen libertären Feminismus, der von einer Differenzierung der Menschen nach Geschlechtern zum Individuum führe. Dieses gilt dabei nicht als ein Wesen, das befreit werden muß, sondern als eine Hypothese, die es erst noch zu schaffen gilt. Spielerisch sollen Frauen und Männer die eigene sexuelle Identität in verschiedenen Rollen ausprobieren können und dadurch die Starrheit der Geschlechterrollen aufbrechen. (...) Beide Geschlechterrollen sollen dekonstruiert werden und nicht stattdessen der keineswegs neutralen westlichen Kultur ein 'weibliches Denken‘ entgegengesetzt werden“ (Lohschelder 2000, 145).

Gender trouble bleibt aus

Die hier vorgestellten Ansätze stammen alle aus den 70er und 80er Jahren, in den 90er Jahren war der feministische Diskurs von der Auseinandersetzung um poststrukturalistische und dekonstruktivistische Ansätze geprägt. Ob dieser Diskus Eingang in den Anarchafeminismus gefunden hat, kann ich nicht beurteilen, es sind mir auf jeden Fall keine bekannt. Es ist aber nicht allein die Aufgabe von Anarchistinnen und Anarchafeministinnen diesen Diskurs zu führen und ihn in die anarchistische Debatte hineinzutragen, denn schließlich geht es ja auch um die Befreiung der Gesellschaft von den Männlichkeiten. Die Konstruktion und „Erfindung“ von Männlichkeiten und Weiblichkeiten sind nicht voneinander zu trennen.

Im Sinne von Gender Trouble scheint mir der Ansatz vom Matteo, der von Silke Lohschelder leider nicht ausführlicher dargestellt wurde, am weitgehendsten zu sein. Hier taucht Ansatzweise eine Vorstellung von anarchi(sti)scher Individualität jenseits von Geschlechtsidentität und bipolaren Geschlechterordnung auf, die eine Grundlage für einen Anarchafeminismus oder post-feministischen Anarchismus (2) sein könnte. Alle andere Ansätze halten an der bio-logischen Differenz der Geschlechter fest. Sie halten an einem natürlichen Geschlechtskörper (sex) fest und hinterfragen nur die patriarchalen gender-Erwartungen. Doch ohne eine Dekonstruktion des Geschlechts – sex und gender – und der Überwindung der Zweigeschlechtlichkeit der Gesellschaft ist die Überwindung von Patriarchat und Zwangsheterosexualität und die Entstehung einer anarchi(sti)schen Individualität jenseits geschlechtlicher und sexueller Identitäten unmöglich.

Anmerkungen:
(1) „Radikalfeministinnen betrachten die biologische Differenz als Ursprung aller Unterdrückung der Frau. Auch verstehen sie das Patriarchat (...) als dasjenige Phänomen, das die Bedingungen jegli-cher weiterer Unterdrückungsmechanismen und Ausbeutungsformen schuf. Radikalfeministinnen schreiben den Männern Frauenhaß und Angst vor Frauen zu (Misogynie) und sie setzen uns Frauen der Natur gleich. Weiterhin gegen die Radikalfeministinnen davon aus. daß Männer versuchen, Frauen und Natur für ihre Zwecke ausnützen (...): Die Annahme, daß Frauen der Natur näherstünden als Männer, ist integraler Bestandteil (des Radikalfeminismus, d. S.L.). Da das Patriarchat die Urform aller menschlichen Unterdrückung darstellt, argumentieren Radikalfeministinnen, müßten alle Unterdrückungsmechanismen ihre Kompetenz verlieren, wenn das Patriarchat erst einmal ab-geschafft ist“ (Ynestra King zitiert nach: Lohschelder 2000, 153). Der radikale Feminismus orientiert sich an die Analyse der Geschlechterdifferenz.
(2) Rosella Di Leo unterscheidet zwei Positionen innerhalb des Anarchismus: „auf der einen Seite den Anarcha-Feminismus und auf der anderen Seite, was ich post-feministischen Anarchismus nenne. Die Differenz besteht im folgenden: der post-feministische Ansatz ist ein Anarchismus, der die grundsätzlichen Erträge der feministischen Bewegung integriert, indem er in den zwischen-menschlichen Beziehungen die nicht-hierarchischen Prinzipien schon jetzt anwendet. Dies halte ich für wichtig. Der Anarchismus, der diese Prinzipien erdacht und reflektiert hatte, war nicht in der Lage, diese gleichzeitig in die Welt umzusetzen. Was den Anarcha-Feminismus angeht, so legt er den Schwerpunkt auf dem Begriff 'Feminismus‘: d.h. daß er den Schlüssel zur ganzen Problematik in der sexuellen Hierarchie sieht – als ausdrückliches 'Prinzip der Welt‘“ (Di Leo 1988, 34).

Literatur:
  • Biehl, Janet: Der soziale Ökofeminismus und andere Aufsätze, Grafenau 1991
  • Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main 1991a
  • Butler, Judith: Variationen zum Thema Sex und Geschlecht. Beauvoir, Wittig und Foucault. In: Nunner-Winkler, Gertrud (Hrsg.): Weibliche Moral. Die Kontroverse um eine geschlechtsspezifische Ethik, Frankfurt am Main/New York 1991b
  • Butler, Judith: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, Frankfurt am Main 1997
  • Di Leo, Rosella: Der Ursprung des Nils oder Auf der Suche nach dem Ursprung männlicher Herrschaft. In: Schwarzer Faden Nr. 26 – 4/1987
  • Di Leo, Rosella: Libertärer Feminismus – Ein Ansatz, der noch ausgearbeitet werden muß. Interview von RedakteurInnen von Le Monde Libertaire. In: Schwarzer Faden – Sondernummer Feminismus 1988
  • Di Leo, Rosella: Ort der Differenz. Betrachtungen zur Geschlechtsdiversität („gender diversity“). In: Schwarzer Faden Nr. 41 – 1/1992
  • Duden, Barbara: Geschichte unter der Haut, Stuttgart 1991
  • Hauskeller, Christine: Das paradoxe Geschlecht. Unterwerfung und Widerstand bei Judith Butler und Michel Foucault, Tübingen 2000
  • Honegger, Claudia: Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaften vom Menschen und das Weib, 1750-1850, Frankfurt am Main 1991
  • Kornegger, Peggy / Ehrlich, Carol: Anarcha-Feminismus, Berlin 1979
  • Laqueur, Thomas: Auf dem Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud, München 1996
  • Lohschelder, Silke (Hrsg.): AnarchaFeminismus. Auf den Spuren einer Utopie, Münster 2000
  • Lorey, Isabell: Immer Ärger mit dem Subjekt. Theoretische und politische Konsequenzen eines juridischen Machtmodells: Judith Butler, Tübingen 1996
  • Maihofer, Andrea: Geschlecht als Existenzweise. Macht, Moral, Recht und Geschlechterdifferenz, Frankfurt am Main 1995
  • Raab, Heike: Foucault und der feministische Poststrukturalismus, Dortmund 1998
  • Rosenberger, Sieglinde: Geschlechter, Gleichheiten, Differenzen, Wien 1996
  • Young, Iris Marion: Humanismus, Gynozentrismus und feministische Politik. In: List, Elisabeth / Studer, Herlinde (Hrsg.): Denkverhältnisse. Feminismus und Kritik, Frankfurt am Main 1989

Originaltext: http://www.postanarchismus.net/texte/gender_trouble.htm

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