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Tuesday, October 9, 2012

Anarchafeminismus - Auf den Spuren Einer Utopie (2007)


http://wolfsmutter.com/artikel559

ANARCHAFEMINISMUS - AUF DEN SPUREN EINER UTOPIE

© Patricia Wendling (08.05.07)


Das Überblickswerk von Silke Lohschelder
Silke Lohschelder zeichnet in ihrem bis heute einzigartigen Überblick die Verbindung von Anarchismus und Feminismus nach. Geschichte, Aktivistinnen-Porträts, Theorien und Praxen einer Bewegung, die diese Gesellschaft grundlegend neu gestalten kann.


Silke Lohschelder: AnarchaFeminismus "Die Befreiung der Frau kann nicht losgelöst von gesellschaftlichen Gegebenheiten erreicht werden, ihre Voraussetzung ist vielmehr die befreite Gesellschaft, also die Abschaffung aller Herrschaftsformen."
(Silke Lohschelder, S. 166)
ie Begriffe "Feminismus" und "Frauenbewegung" werden heute in so unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet, dass ihre Bedeutung längst nicht mehr eindeutig scheint. Konnte frau in den 1970er Jahren noch von einer linkspolitischen Basis sprechen, so sind viele Frauenorganisationen, -beratungsstellen und -netzwerke mittlerweile längst beim Establishment angekommen. Von arbeitsmarktpolitischen Zwangsmaßnahmen, akademischen Zugangsbeschränkungen, christlich motivierten Familienprojekten bis hin zur Unterstützung rechtskonservativer Politikerinnen wird nichts ausgelassen um sich ein winziges Stück vom neoliberalen Kapitalismuskuchen abzuschneiden. Koste es, was es wolle. Den Preis dafür zahlen zumeist Arbeiterinnen, Erwerbsfreie, Migrantinnen, Flüchtlinge, Illegalisierte, Lesben, Behinderte und andere sogenannte Randgruppen, die sich nicht in diese weiße, leistungspotente Herrschaftsnorm eingliedern können oder eingliedern wollen. An diesem Punkt setzt Silke Lohschelder in ihrem Buch an und meint in der Einleitung: "Bei der Suche nach einer Utopie, die radikale linke Ideen mit einem Feminismus verknüpft, der möglichst viele Frauen einbezieht, bin ich auf die anarchafeministische Utopie gestoßen." (S. 11)

Silke Lohschelder beginnt mit einem Überblick anarchistischer Theorien. Anarchismus bezeichnet im wesentlichen die Idee einer libertären Gesellschaft ohne Regierung und Herrschaft. Eine Gesellschaft in der das Zusammenleben, inklusive Produktion, Verbrauch, Eigentum, etc., auf freien Vereinbarungen und basisdemokratischen Beschlüssen beruht. Die notwendige Voraussetzung dafür ist, alle unterdrückerischen, hierarchisch aufgebauten Institutionen, insbesondere Staat und Kirche, abzuschaffen und stattdessen eine selbstverwaltete Infrastruktur aufzubauen. Das kann mithilfe einer sozialen Revolution gelingen, und mit "direkten Aktionen": Streiks, Sabotage, Aufklärung und die Förderung und Erprobung selbstbestimmter Gegenkulturen. Anarchistische Vordenker wie beispielsweise Pierre-Joseph Proudhon, Michail A. Bakunin oder Peter A. Kropotkin entwickelten bereits im 19. Jahrhundert verschiedene Gesellschaftsmodelle auf die sich AnarchistInnen bis heute beziehen. Wesentlich dabei scheint, dass im Anarchismus kein allgemeingültiges Konzept der befreiten Gesellschaft vorliegt, sondern, dass die Praxis einer allzu starren Theorie bei Bedarf vorgezogen wird.

Es waren dann auch die Erfahrungen aus dieser Praxis, die engagierten Anarchistinnen schon vor 100 Jahren schmerzlich bewusst machten, dass die Annahme, der Anarchismus würde automatisch auch die Befreiung der Frau berücksichtigen, eine falsche war. Emma Goldman in den USA, Louise Michel in Frankreich, Vera Figner in Russland, die Mujeres Libres in Spanien, der Syndikalistische Frauenbund in Deutschland - die alle ausführlich in diesem Buch porträtiert werden - und viele unbekanntere Aktivistinnen mehr, wiesen auf diesen Mangel hin und setzten sich in ihrer politischen Arbeit für Frauenrechte ein, oft im Kampf gegen ihre Genossen. Bezeichnend dabei ist, dass diese Anarchistinnen - obwohl sicherlich davon inspiriert - sich von der bürgerlichen Frauenbewegung vehement distanzierten. Diese Tendenz, dass Anarchafeministinnen ihre politische Heimat eher in der anarchistischen als der feministischen Bewegung sehen, hält bis heute an. Das hat mehrere Gründe. Zum einen widersprechen anarchistische Prinzipien wie Antiparlamentarismus und Ablehnung von Autorität und Hierarchie der Forderung nach Gesetzen für die Gleichberechtigung der Frau, denn damit würde "die Lösung von Problemen an einen Staat deligiert, der sie gleichzeitig verursacht." (S. 139) Zum anderen gilt die Solidarität vieler Anarchafeministinnen oftmals allen unterdrückten Menschen, denn - wie es beispielsweise die Organizzazione delle Donne Libertarie (O.D.L.), die Frauenorganisation innerhalb der italienischen FAI, in den 1970er Jahren formulierte - besteht bei einer abgegrenzten Frauenbewegung die Gefahr, "Sexismus als unabhängiges Unterdrückungsverhältnis zu betrachten, anstatt den Zusammenhang zu anderen Formen der Ausbeutung und Diskriminierung wahrzunehmen." (S. 136)

Tatsache ist jedoch, wie Silke Lohschelder im dritten Teil des Buches aufzeigt, dass der Begriff "Anarchafeminismus" Anfang der 1970er Jahre von US-amerikanischen Radikalfeministinnen geprägt wurde, die ein "politisches Gerüst für die feministische Revolutionierung der Gesellschaft suchten und dabei im kommunistischen Anarchismus Kropotkins überraschend viele Übereinstimmungen zu ihren eigenen Überzeugungen fanden." (S. 156)
"Feminismus bedeutet nicht weibliche Macht in den Institutionen und eine Frau als Präsidentin - es bedeutet keine Macht von Institutionen und keine Präsidenten."
(Peggy Kornegger/Carol Ehrlich: Anarcha-Feminismus, Berlin 1979)
Anhand des 1979 in deutsch erschienenen und heute leider vegriffenen Buches "Anarcha-Feminismus" von Peggy Kornegger und Carol Ehrlich und anhand Janet Biehls neueren Aufsätzen zum "Sozialen Ökofeminismus", fasst Lohschelder zum Schluss die wichtigsten anarchafeministischen Thesen zusammen. Unter anderem die Abschaffung jeglicher Herrschaft und Unterdrückung, denn, die Abschaffung des Patriarchats allein wird nicht genügen, um alle Frauen von ihrer Unterdrückung zu befreien. Auch Kapitalismus, Nationalstaat, Rassismus und westlicher Imperialismus stehen einem "guten Leben für alle" entgegen, sowie auch die Religion, die grundlegend infragegestellt werden muss. Außerdem soll die Trennung von privaten und öffentlichen Bereichen und damit auch die Kleinfamilienstruktur durch eine gemeinschaftliche Fürsorge für Kinder und ältere Menschen ersetzt werden. Der vom Ökofeminismus ergänzte Aspekt, dass erst ein verantwortungsvoller Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen die Basis für das Fortbestehen der Menschheit schaffen kann, erweitert die Forderungen um eine zusätzliche Dimension. Anarchafeministische Aktionsfelder sind daher sowohl in der feministischen, der anarchistischen als auch in der Öko-Szene zu finden.

Obwohl es sich hier um ein Sachbuch handelt, das in erster Linie ausführlich informiert, beziehen Silke Lohschelder und ihre Mitautorinnen Inés Gutschmidt und Liane M. Dubowy zwischendurch immer wieder Position und geben interessante Denkanstöße für die aktuelle Praxis. Das ist angenehm und macht das Buch glaubwürdig. Mit der feministischen Kritik an diversen anarchistischen Theorievätern stimme ich vollkommen überein, die pauschale Gleichsetzung von Geschlechterdifferenz, feministischer Spiritualität und Matriarchatstheorien mit reaktionären Strömungen teile ich nicht. Aufgrund der Tatsache, dass Frauen unterschiedliche Lebensbedingungen vorfinden als andere Geschlechter, patriarchale Gesellschaften von Männern für Männer gemacht sind und der Frauenkörper zum Schlachtfeld erklärt wurde, sehe ich insbesondere in einem frauenspezifischen Blick auf diese Welt großes Potential für eine gesellschaftliche Veränderung und darüber hinaus eine kraftspendende Bereicherung für die tägliche Praxis. So kommt mir dann auch die politische Bedeutung der autonomen FrauenLesbenbewegung, insbesondere der 1970/80er Jahre, in diesem Buch etwas zu kurz. Beispiele wie der Aufbau einer selbstorganisierten Fraueninfrastruktur, die Erprobung alternativer Wohn- und Lebensformen aber auch militante Frauengruppen wie die Rote Zora in Deutschland wären durchaus erwähnenswert gewesen.

Fazit: Abgesehen davon, dass "AnarchaFeminismus" selbst noch nach sieben Jahren seines Erscheinens das einzige deutschsprachige Überblickswerk zu diesem Thema ist, gelang Silke Lohschelder mit dem vorliegenden Buch eine wirklich ausgezeichnet strukturierte, leicht lesbare und sehr spannende Einführung in diese Materie, die sowohl Einsteigerinnen als auch erfahrenen Feministinnen und Anarchistinnen gleichermaßen zu empfehlen ist. Bei einer Neuauflage würde dem Band ein erweiterter Blickwinkel auf anarchafeministische Bewegungen außerhalb Europas und den USA guttun sowie vielleicht das eine oder andere Bild zur Illustration. Dies kann aber für die Leserin auch ein Ansporn sein, sich selbst auf die Spuren von Anarchafeministinnen weltweit zu begeben, ihre Ideen zu diskutieren, zu erproben und weiterzuentwickeln und damit den eigenen Feminismus revolutionärer, befreiender und lustvoller zu gestalten.

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